= Niederstetten, 21. [11.?] Jan. Ein vor 36 Jahren von hier nach Nordamerika ausgewanderter Bürgerssohn schrieb zu Neujahr 1925 seinen Angehörigen. Was er neben familiären Mitteilungen noch schreibt, ist gewiß von allgemeinem Interesse. Er meint, wie werden sich die Lebensverhältnisse in Deutschland gestalten, nachdem es nun auf Jahrzehnte durch das Dawesgutachten Lasten zu tragen hat, die das deutsche Volk wirtschaftlich ruinieren. Besonders schmerzlich empfindet er, daß trotz aller Fortschritte und Erfindungen auf dem Gebiet der Technik, der Wissenschaften aller Arten die Menschen noch auf demselben Stand sich befinden wie vor 100 Jahren. Auch im Staate Itaha, wo dieser Deutsch-Amerikaner ansässig ist, gibt es mehr Leute, die die wirtschaftlichen Nöte zu verspüren haben, als solche, die an irdischen Gütern reich gesegnet sind. Der derzeitige schlechte Geschäftsgang und die hohen Steuern machen ihnen das Leben doppelt schwer. Unter der großen Kälte und den Schneestürmen in der zweiten Dezemberhälfte haben sie sehr zu leiden, da die Häuser zumeist sehr leicht gebaut sind. in einer Newyorker Zeitung las er von einer Feier, die den Erfinder Mergenthaler und der nach ihm benannten Setzmaschine zu Ehren in dessen Geburtsort Hachtel stattfand – über diese Feier wurde s. Zt. ausführlich in der "T.-Ztg." berichtet –, was ihn mit Stolz erfüllte, da deutscher Geist in der ganzen Welt Anerkennung findet. Er schloß mit dem Wunsche, das christlich-soziale Gewissen der Welt möge sich Geltung verschaffen, um der Menschheit Leid und vor allem das seiner Heimat zu lindern. – Es ist wohl anzunehmen, daß wenn alle Deutschen, die in der Welt verstreut sind, so für ihre Stammesbrüder empfinden würden, es in manchem für uns besser gestellt wäre.

Tauber-Zeitung, 13. 1. 1925