( ) Niederstetten, 15 März. Gestern abend fand im Gasthaus Streng die Generalversammlung des Gewerbevereins statt. Verhältnismäßig schwacher Besuch ist für das bedauerlich schwache Interesse des Gewerbes an seiner eigenen Organisation bezeichnend. Herr Vorstand Hirsch eröffnete und leitete die Versammlung. Nachdem Schriftführer und Kassier ihre Berichte erstattet hatten (die Mitgliederzahl mit 92 ist gleich geblieben), erfolgen die Wahlen. Der gesamte Vorstand mit Herrn Bäckermeister Hirsch an der Spitze wurde wiedergewählt. Eine heftige Diskussion entbrannte über verschiedene Vergebungen städtischer Arbeiten. Der Gemeinderat hatte sich auf die Mindestgebote geeinigt. Dieser Standpunkt wurde angegriffen und es wurde verlangt, daß die Arbeiten abwechslungsweise unter die Handwerker vergeben würden. Herr Stadtschultheiß Schroth und einige Gemeinderatsmitglieder verteidigten den Standpunkt des Gemeinderates. Die jeweils zu vergebenden Arbeiten seien in ihrem Umfang sehr verschieden. Es wäre also nicht gut möglich, die Arbeiten gleichmäßig zu vergeben, und das würde wieder Unzufriedenheit hervorrufen. Auch bei abwechslungsweiser Vergebung kommen regelmäßig Beschwerden. Zu machen wäre die Sache nur so, daß die Handwerker einer Klasse sich einigen würden und die Arbeit zu festgelegten, natürlich nicht zu hohen Preisen, eingehen würden und die Arbeit unter sich verteilen würden. Herr Vorstand Hirsch verlas eine Abhandlung über unsere Währung. Eine Inflation ist nicht zu befürchten. Herr Stadtschultheiß Schroth gab näheren Aufschluß über die Entwicklung unserer Gewerbeschule. Die Prüfung derselben durch einen Referenten aus Stuttgart habe ein sehr erfreuliches Resultat ergeben. Der Referent habe ausdrücklich betont, daß die Schule den Weg gehe, welcher vom Ministerium verlangt werde, und habe sich über alle Leistungen hochbefriedigt ausgesprochen. Damit kam Herr Stadtschultheiß Schroth auf den Schulhausbau zu sprechen. Wenn Niederstetten geistig und wirtschaftlich ein Mittelpunkt seiner Umgebung bleiben wolle, müsse die Stadt ihre Schulen ausbauen. Der Redner ist für eine Gesamtlösung in einem großen Schulhausbau, aber nur dann, wenn der Staat große Hilfe dazu bietet. Zum Schluß der Versammlung fand eine Resolution des Verbandes württ. Gewerbe- und Handwerkervereine Annahme. Diese Resolution geht von dem schweren Existenzkampf des Volkes aus. Sie fordert Schutz des Handwerkers gegen großkapitalistische Konzerne und Trusts, gegen die Regiebetriebe des Reiches, gegen den Mißbrauch gemeinnütziger Unternehmungsformen, gegen Warenhäuser und Konsumvereine. Sie wendet sich gegen jede Absicht der Verelendung und Proletarisierung der deutschen Mittelschichten. Dementsprechend fordert sie Verminderung der Lasten, Sparen in Staat und Gemeinde, Hebung des Baumarktes, Aufhebung der steuerlichen Bevorzugung der öffentlichen Hand und der Konsumvereine.

Vaterlandsfreund, 17. 3. 1929