( ) Niederstetten, 27. März. Gestern war der Tag unserer Schuljugend-Entlassungsfeier der Real- und Volksschule in der Turnhalle. Hunderte von Eltern, Geschwistern und Freunden der Schulen als Zuschauer und Zuhörer, ein dankbares Publikum. Ein fein gegliedertes Programm, dessen erster Teil dem Frühlingshoffen, der Lenzesgewißheit galt. Jeder Teil des Programmes sinngemäß dreiteilig, Gesang – Deklamation – Sprechchor. Der Sprechchor ist uns etwas Neues, aber er ist nichts Neues. Seine größte Bedeutung hat er im griechischen Drama. Schiller belebt den Sprechchor neu in seiner Braut von Messina. Und gestern hörten wir ihn von jugendlichen Stimmen. Die Ausdrucksfähigkeit der Sprache hat im Sprechchor ungeahnte Möglichkeiten, zartestes Pianissimo bis zur höchsten Gewalt in unzähligen Modulationen. Die Sprechchöre wirkten alle sehr gut. In den Einzelvorträgen kommen Freiligrath – Geibel, Uhland zu Wort – die Dichter, welche in dem Frühling der Natur auch den Frühling ihres Volkes ahnten. Das deutschsprachige Hohelied des Frühlings, Fausts Osterspaziergang von Goethe, wird sehr gut vorgetragen. Dann kam der Teil des Programmes, welcher von der Arbeit handelt. Aus dem Alltag ein hübsches Zwiegespräch "Im Kaufmannsladen". Von den Kleinsten bis zu den Entlaßschülern zeigten alle ihre Kunst der Rezitation und alle machten ihre Sache recht gut, sie fühlen sich! Schön war auch das Schattenspiel "Zwölf mit der Post", nach einem Märchen von Andersen. Das ganze Jahr spaziert an uns vorüber. Dann mußten aber unsere Schüler auch zeigen, daß sie gute Schauspieler sind, Schneewittchen wurde aufgeführt. Herr Oberlehrer Wahl begrüßte Eltern und Schüler und Freunde. Er stellte den Entlassungsschülern ein gutes Betragenszeugnis aus. Zum ersten Mal gehen die Entlaßschüler aus dem achten Schuljahr hervor. Er dankte der Stadtverwaltung, daß sie fest geblieben sei und diesen Fortschritt durchgeführt habe. Der Schulhausbau sei notwendig. Die Schülerzahl entsprechen mit etwa 120 Schülern ungefähr dem Stande vor dem Kriege. Freilich in früheren Zeiten habe die Schule 250 Schüler und einmal weit über 300 Schüler unterrichtet. Den Entlaßschülern gab Herr Oberlehrer Wahl gute Worte mit auf den Weg. Dies tat auch der nächste Redner, Herr Stadtschultheiß Schroth, welcher zugleich im Namen der Zuhörerschaft dankte. Auch in seinen Ausführungen war dem Schulhausneubau manches Wort gewidmet. Die Feier hat der zahlreichen Zuhörerschaft gezeigt, daß unsere Jugend im guten Händen ist, daß unsere Lehrerschaft mit Fleiß und Liebe bestrebt ist, unserer Jugend modernes Wissen zu vermitteln und daß sie sie lehrt, die alten Tugenden zu achten.

Vaterlandsfreund, 29. 3. 1929