( ) Niederstetten, 29. April. Zu einem tiefinnerlichen Beweis der Liebe und des Vertrauens für den Scheidenden und seine Familie gestaltete sich gestern abend die im Löwensaale stattgehabte Abschiedsfeier für Herrn evang. Stadtpfarrer Hahn. Eine ernst gestimmte Menge füllte lange vor Beginn den Saal bis auf den letzten Platz. Nicht nur die Mitglieder der evangelischen Gemeinde waren fast vollständig erschienen, auch viele Mitglieder der katholischen und israelitischen Gemeinde hatten sich eingefunden. Eingeleitet wurde die Feier durch ein Lied des evang. Kirchenchors. Es sei vorausgeschickt, daß der evangelische Kirchenchor unter Leitung des Herrn Oberlehrers Wahl noch viele Lieder in bester Harmonie zum Vortrag brachte. Herr Stadtschultheiß Schroth entbot der Familie Hahn und allen Teilnehmern einen herzlichen Willkommgruß. Hierauf entwarf der Redner in einem Rückblick ein Bild des Schaffens des Herrn Stadtpfarrers Hahn. Nur wenige Jahre sei es dem 1910 hierher gekommenen Geistlichen möglich gewesen, in Friedenszeiten zu arbeiten. Schwer habe derselbe dann unter den Verlusten seiner Gemeinde gelitten. Als der Krieg zu Ende war und auch schon vorher habe Herr Hahn neben der geistlichen Arbeit sein Tun in den Dienst der Allgemeinheit durch Übernahme der Sammelstelle gestellt. Frau Hahn habe durch die Tätigkeit ihres Gatten angeregt auch ihre Arbeit über das Pfarrhaus hinausgetragen und sich der Organisation der landwirtschaftlichen Hausfrau angenommen. Sie sei eine Pfarrfrau im wahrsten Sinne des Wortes gewesen. Herr Stadtpfarrer Hahn habe neben der Bürde seines Amtes auch die Verwaltung der evang. Kirchengemeinde mustergiltig besorgt. Mit allgemeinem Bedauern sei daher die Kunde von seiner Versetzung in den Ruhestand vernommen worden. 19 Jahre sind eine lange Zeit und Herr Stadtpfarrer Hahn hat in dieser Zeit viel persönliches und allgemeines Leid getragen und viel Freude erlebt. Herr Stadtschultheiß Schroth, welcher im Namen des evang. Kirchengemeinderates und der evang. Gemeinde gesprochen hatte, schloß mit herzlichen Dank und mit dem besten Wünschen für die Zukunft der scheidenden Pfarrerfamilie. Er überreichte namens des Kirchengemeinderats eine herrliche Standuhr. In einer zweiten Rede brachte Herr Stadtschultheiß Schroth das Bedauern der politischen Gemeinde über den Weggang des Herrn Stadtpfarrers Hahn und deren Dank zum Ausdruck. – Herr Oberlehrer Wahl führte aus, daß der zahlreiche Besuch der Abschiedsfeier ein gutes Echo erzeuge. Der evang. Kirchenchor wolle den Abend mit seinen Gesängen verschönen. Herr Wahl dankte Herrn Stadtpfarrer Hahn für alles, was er der evang. Volksschule geleistet habe, ganz besonders auch dafür, daß er so oft während des Krieges, wenn die Klasse verweist war, mit seiner Tat eingesprungen sei. Er dankte ihm auch für seine Tätigkeit als Religionslehrer dieser Schule. Zum Schlüsse gedachte Herr Oberlehrer Wahl des freundnachbarlichen Verhältnisses seiner Familie mit der Pfarrfamilie und gab der letzteren die besten Wünsche für eine glückliche Zukunft in dem landschaftlich so schön gelegenen neuen Heim in Sillenbuch. – Herr Studienrat Dieterle dankte Herrn Stadtpfarrer Hahn für den Religionsunterricht an der Realschule. Er wünschte sich immer mit einem solchen Manne zusammenzuarbeiten. – Namens der katholischen Gemeinde sprach Herr Stadtpfarrer Schmitt. Der Redner begrüßte die willkommene Gelegenheit, namens seiner Gemeinde Herrn Stadtpfarrer Hahn herzliche Abschiedsworte zu weihen. Herr Hahn habe sich die Hochschätzung der katholischen Kirchengemeinde durch seinen Pflichteifer, den Ernst seiner Überzeugung erworben, wie er sich die Liebe und Anerkennung aller Konfessionen durch Liebe zum Volk und Saterland verschafft habe. 19 Jahre Führer sein, sei nicht leicht. Es gebe noch viele Leute, welche die Seelsorgearbeit nicht würdigen. Der Redner hoffe, daß die Zeit hier Wandel schaffe und daß das Volk erkenne, daß die Seelsorgearbeit die beste Arbeit am Volke sei. Angesichts der Abschiedsfeier komme ihm zum Bewußtsein, daß Herr Stadtpfarrer Hahn auch in seiner Gemeinde voller Anerkennung gefunden habe. Es sei an Stadtpfarrer Schmitt wie seinen Vorgängern immer eine Freude gewesen, mit Herrn Stadtpfarrer Hahn zusammenzuarbeiten. Das Gemeinsame der Weltanschauung habe das Trennende überwogen. Der Redner wünschte Herrn Stadtpfarrer Hahn viele Jahre eines frohen Familienglückes und daß es ihm ein erhebendes Bewußtsein bleiben möge fortzuleben im Herzen von Hunderten. – Herr Hauptlehrer Oberndörfer brachte die Gefühle der israelitischen Gemeinde zum Ausdruck. Er freue sich namens der israelitischen Gemeinde, dem Ruhmeskranz des Herrn Stadtpfarrer Hahn eine Blume einfügen zu dürfen. Er erkenne dankbar an, wie freundschaftliche Beziehungen Herrn Hahn zur israelitischen Gemeinde unterhalten habe und was er für die Erhaltung des konfessionellen Friedens getan habe. Dem Redner sei seine Tätigkeit des Scheidenden nichts Neues, denn er habe schon ein Jahrzehnt in Braunsbach mit ihm zusammengearbeitet. Dort habe Herr Stadtpfarrer Hahn auch in tiefer Freundschaft dem verblichenen Rabbiner Berlinger einen innigen Nachruf am Grabe gewidmet. Der Geistliche leiste Aufbauarbeit und alle Konfessionen tun dies unter einem gemeinsamen Dach, dem Himmelsdach. Wir sollen eingedenk sein des Wortes, daß wir Kinder eines Vaters und Schöpfer sind und der Stadtpfarrer Hahn habe so gehandelt, daß er ein Wohlgefallen vor Gott und den Menschen war. In allem sei ihm seine Gattin zur Seite gestanden. Herr Hauptlehrer Oberndörfer wünschte der Familie Hahn den Segen Gottes. – Der nächste Redner, Herr Max Stern, erklärte, er spreche als Bürger der Stadt. Wohl wisse er, daß er nichts Ungesagtes sprechen könne, aber ein innerer Drang gebiete ihm, Herrn Stadtpfarrer Hahn und den Seinigen Worte des Abschiedes zu weihen. Wenn ein Frommer aus einer Stadt ziehe, hinterlasse er eine Lücke, denn er sei ihr Glanz, ihre Ehre und ihr Ansehen. Glanz, Ehre u. Ansehen einer Stadt sei aber der Friede. Während zuerst äußere Feinde uns bedrängten, war nachher ganz Deutschland in Aufruhr, Partei habe sich gegen Partei, Konfession gegen Konfession, Familie gegen Familie gewandt. Hier habe aber der Friede geherrscht. Das sei zum größten Teil der Tätigkeit des geistigen und geistlichen Führers der Mehrheit der Einwohner zu verdanken gewesen. Dafür sei er bedankt. Wenn er nun scheide, soll ihm ein guter Wunsch mitgegeben werden. Nach einem alten Gleichnis wünschte der Redner, daß die Kinder der scheidenden Familie Hahn ihren Eltern gleichen mögen. – Herr Stadtpfarrer Hahn dankte. Ein Strauß von Liebe und Freundschaft sei ihm entgegengebracht worden, welchen er kaum aufzunehmen wage. Er kann bezeugen, daß er in der Zusammenarbeit mit dem Stadtvorstand immer gefühlt habe, daß dieser alles tue, was zum Segen des einzelnen wie der Gesamtheit notwendig sei. Er sei immer gern hier gewesen. Er habe viele Liebe und Freundschaft in seiner Gemeinde gefunden und was er getan habe, sei ihm nur durch die Mithilfe der Gemeinde möglich gewesen. In den Wirren der Nachkriegszeit habe hier der Friede geherrscht. Er habe das Gefühl gehabt, daß hier drei Konfessionen in vollem Frieden leben und er habe die Überzeugung, daß man auch in Frieden leben kann. Es sei ihm hier vieles gelungen, aber alles sei nur durch die Mitarbeit der anderen Konfessionen möglich gewesen. Herr Stadtpfarrer Hahn richtete dann Worte des Dankes an seine Gemeinde. Er gedachte auch der hingebungsvollen Unterstützung seitens seiner Gattin und Schwester. Der Schule, führte er dann aus, sei er immer ein guter Freund gewesen und es habe daher zwischen ihm und den Lehrern stets das beste Einvernehmen geherrscht. Er wünsche der Volksschule, der Realschule und der Gewerbeschule eine glückliche Lösung der Schulhausfrage. Dann dankte Herr Stadtpfarrer Hahn den Vertretern der beiden Konfessionen. Es sei gut, wenn drei Konfessionen beisammen wohnen. Wie engstehende Bäume im Walde einer den anderen hochtreibe, so wirke das gegenseitige Beispiel befruchtend auf den Geist und die Liebe. Er scheide mit Gefühlen des Dankes und der Wehmut mit seiner Familie von Niederstetten und er werde die Stadt und den Einzelnen nicht vergessen. Sein besonderer Dank galt dann noch dem schönen Geschenk. Noch manche Rede und Gegenrede wurde im Laufe des Abends den Scheidenden gewidmet, noch manches Lied des Kirchenchores erklang und oft fanden sich die Gemüter im gemeinsamen Gesang schöner Volkslieder. Auch die Redaktion dieser Zeitung wünscht Herrn Stadtpfarrer Hahn und seiner Familie für die Zeit der Ruhe und es Beschauens alles Gute.

Vaterlandsfreund, 5. 5. 1929