() Niederstetten, 23. März. Es ist bedauerlich, daß die Versammlungen des Gewerbevereins nicht die Beachtung in den Gewerbekreisen finden, welche sie verdienen. Denn die zur Sprache gebrachten Angelegenheiten des Gewerbes und auch der Gemeinde veranlassen immer fruchtbare Redegefechte. Es scheint aber, daß die Teilung der Interessen des Handwerks in organisierte Einzelinnungen, den Gewerbevereinen schadet. Die gestrige Generalversammlung des Gewerbevereins wies denn einen im Verhältnis zur Mitgliederzahl recht schwachen Besuch auf. Herr Vorstand Hirsch eröffnete die Versammlung. Er entwarf einen Rückblick auf die wirtschaftliche Entwicklung des letzten Jahres, welches auch für das Handwerk kein gutes Jahr war. Doch dürfe auch der Handwerker den Mut nicht sinken lassen. Den Schluß der Rede des Vorsitzenden bildete eine Ehrung der Toten des vergangenen Jahres, zu deren Ehre sich die Mitglieder der Versammlung von den Sitzen erhoben. Hierauf erstattete Herr Schriftführer Glasermeister Otto den Tätigkeitsbericht des Vereins. Die Mitgliederzahl beträgt 91. Herr Richard Knenlein verlas den Kassenbericht. Besonders bemerkenswerte Einnahmen oder Ausgaben waren nicht vorhanden. Die Filmvorführungen erbrachten dem Verein ein wesentliches Manko. Bei den Neuwahlen wurden Herr Gastwirt und Metzgermeister Bieck und Hr. Schneidermeister Schmidt dem Ausschuß zugewählt. Von einer Einladung zu der Gewerbeschau nach Schrozberg (4. bis 11. Mai) wurde Kenntnis genommen. Eine lebhafte Debatte entspann sich über ein Schreiben des Verbandes der württ. Gewerbevereine und Handwerkerverbände, wegen der Haltung des Vorstandes gegenüber der Krankenkasse des Verbandes. Während einerseits betont wurde (aus den Kreisen der Versammlung heraus), daß diese Krankenkasse als Fürsorgeinstitut des Verbandes unterstützt werden müsse, wurde andererseits dargelegt, daß diese Einrichtungen an sich mit den Bestrebungen der Gewerbevereine nichts zu tun haben und daß es jedem Mitglied freistehen müsse, wie es sich dazu stellen will. Recht lebhaft wurde über den kommenden Schulhausbau und die Vergebung der Arbeiten debattiert und die anwesenden Gemeinderäte hatten einen harten Stand. Einzelne Handwerker verlangten, daß die Arbeiten nur unter hiesigen Handwerkern ausgeschrieben werden sollen. Auswärtige Handwerker würden aus persönlichen Gründen besonders niedere Angebote einreichen. Dagegen wurde geltend gemacht, daß das Gebäude auch mit Staatsbeitrag gebaut würde und daß auch die Interessen der Steuerzahler verlangen, daß die Kosten des Gebäudes möglichst niedrig bleiben. Selbst wenn die Arbeiten nur unter hiesigen Handwerkern ausgeschrieben würden, könnte es in den Branchen, wo mehrere Meister vorhanden sind, Mißstimmung geben. Bestmögliche Berücksichtigung der ortsansässigen Gewerbe sei selbstverständlich und, sei immer vom Gemeinderat geübt worden. Aber auch diese Debatte verlief ohne jede Schärfe, sodaß der Vorstand mit dem Ausdruck des Dankes die Versammlung schließen konnte.

Vaterlandsfreund, Nr. 69, 24. 3. 1930