Niederstetten, 5. Sept. Ein Fest besonderer Art hat hier am letzten Sonntag die Augen vieler auf sich gezogen. Ein Bezirksjungfrauenfest, eine gemeinsame Tagung der evangelischen Jungfrauenvereine des unteren Bezirks Gerabronn (der obere hatte sich gleichzeitig in Blaufelden versammelt) zu festlicher Aussprache über das, was in den Jungfrauenvereinen erstrebt und gepflegt wird. Das Wetter war im vollen Sinn des Wortes "schlecht", strömender Regen von Morgen bis zum Abend. Aber selbst diese ausgesuchte Ungunst der Witterung konnte die große Mehrzahl der nach Niederstetten gewiesenen und der aus den Diözesen Weikersheim und Künzelsau geladenen Vereine nicht abhalten zu erscheinen oder doch eine Abordnung zu schicken. Sogar unsere Grenzmärker Spielbach und Leuzendorf waren auf diese Weise vertreten. Schon der Festgottesdienst, der um 1 Uhr begann, hatte eine sehr stattliche Anzahl von Jungfrauen in unserer schönen und geräumigen, mit Blumen und Immergrün sinnvoll geschmückten Kirche versammelt. Nach einer liturgischen Einleitung und einer vom Ortsgeistlichen gehaltenen Ansprache hielt Herr Missionar Fischer vom Diakonissenhaus in Stuttgart die Festpredigt, in welcher er in einfacher und schlichter, aber zu Herzen gehender Weise das große Ziel für alles christliche Streben aufwies und den Weg zeigte, auf dem unsere Jugend dieses Ziel verfolgen muß. Nach dem Gottesdienst, den die versammelten Vereine mit einem gemeinsamen, von Frau Pfarrer Fischer-Leuzendorf geleiteten Chorgesang schlossen, gings im festlichen Zug unter den packenden Klängen des Liedes "Deutsche Jugend heraus" in die Turnhalle, deren an sich zu Festen so schön geeigneter Raum vom riesigen Jungfrauenverein in eine wirkliche Freudenhalle verwandelt worden war. Girlanden und Blattpflanzen zogen sich und standen von Säule zu Säule und aus den Spalten des Vorhangs, der die Tribüne abschloß, lugte ein ebenso festlich gehaltenes Arrangement verheißungsvoll hervor. Der eigentliche Turnhalleraum war ganz mit Tischen und Stühlen besetzt, auf denen zum freudigen Erstaunen der jungen und alten Festgäste ein Kaffee mit Kranz und Kuchen gedeckt war. Bald wanderten auch emsige Jungfrauen mit dampfenden Kannen hin und her – man höre und glaube – echter, guter Bohnenkaffee wurde jedem nach Belieben gereicht. Ein wahres Labsal nach all den Unbilden, welche Nässe und Wind den herbeigewanderten Gästen angetan hatten. – Nun war der unentbehrliche Grund für den 2. Teil der Tagung gelegt. Der Ortsgeistliche sprach dann in seiner Begrüßung es aus, daß auch in den christlichen Jungfrauenvereinen und zumal bei der heutigen Tagung derselbe Geist herrschen soll, der von den alten Turnvätern der deutschen Turnerei einst aufgeprägt worden ist, der Geist, der sich in den Worten ausspricht: Frisch, fromm, fröhlich, frei. Und der stattliche Jungfrauenverein Niederstetten mit seinen frischen und munteren Mädchen löste auch alsbald diese Worte ein durch ein außerordentlich fein gestimmtes, schön und packend wiedergegebenes Festspiel. Dieses Festspiel, das mit Reigen und Gesang durchwürzt war und eine Begrüßung der Gäste darstellte, gab denn auch den Ton ab für den gesamten weiteren Verlauf des Festes. Einen besonderen Höhepunkt bildete noch ein Vortrag von Fräulein Drexel beim evang. Volksbund über das Thema: "Wie feiern wir Sonntag?" Dann lösten Gesänge und Vorträge, Reden und patriotische Lieder einander ab und schließlich hat eine reine, ungetrübte Fröhlichkeit in Spiel und Reigen die Jungfrauen aus der Nähe und Ferne zu einem großen Kreis von Freundinnen vereinigt. Noch selten hat wohl ein Fest so viel echte Freude und Erhebung ausgelöst wie unser Bezirksjungfrauenfest. Man möchte nur wünschen, daß solch gediegenes, von hohen Zielen getragenes, von keinen betrübenden Nachklängen gedämpftes Feiern auch unsere sonstigen Feste schmücken und beherrschen möge. Dank allen Veranstaltern und Teilnehmern!

Vaterlandsfreund, 7. 9. 1924

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.