= Niederstetten, 3. April. Wir reden heute soviel von der notwendigen Gemeinschaft und dem einigenden Band, das uns alle umschlingen sollte. Da ist es besonders wohltuend, wenn man auf irgend einem Gebiet – wenn auch am kleinen Platz – das Ziel verwirklicht sieht. Das war am Sonntag, 26. März, bei der Entlassung der evangelischen Volksschule Niederstetten der Fall. Seit 13 Jahren hat sich diese Feier – alljährlich wiederkehrend und in steigendem Maß begrüßt – eingebürgert, so daß man von einer wirklichen Gemeinde sprechen kann, in welcher sich Eltern, Schüler und Freunde der Schule mit den Lehrern derselben verbunden fühlen. Ueber 400 Erwachsene hatten sich neben den 150 Kindern in der Turnhalle eingefunden. Der Schulvorstand, Herr Oberlehrer Wahl, wies in seiner Begrüßung darauf hin, daß man auch an einer Entlaßfeier sehen könne, was und in welchem Geist in einer Schule gearbeitet werde. Die Kleinsten zeigten zuerst ihre Kunst. Wie selig leuchteten ihre Augen, als sie in dem reizenden Frühlingsspiel "Der Frühling hat sich eingestellt" als Häslein und Vöglein springen und hüpfen, als Blümlein nicken, tanzen und singen durften! Wir Erwachsene fühlten uns da wieder ins Kinderland zurückversetzt, wir empfanden wieder mit Kindern so rein und natürlich. Die Mittelklasse führte ein Märchenspiel vor. Fröhlich singende Wandervögel ließen in uns die Erinnerungen an die letzte Schülerwanderung in den Odenwald auftauchen. Eingeflochtene Reigen und Gesänge hörten wir zu unserer Ueberraschung erstmals von Schulflöten begleitet. Im Schulbericht erfuhren wir von der steigenden Raumnot der evangelischen Volksschule, die durch die Umschulung von Sichertshausen und den starken neueintretenden Jahrgang verursacht sei, und den bald abgeholfen werden sollte. Dann gedachte der Schulvorstand auch des großen, schicksalhaften Geschehens unserer Tage, das uns eine neue, nationale Regierung brachte. Er erinnerte daran, wie die Lehrer der Schule schon bisher ihr Ziel in der Erziehung zum deutschen Menschen gesehen hätten. Vor 12 Jahren seit den Entlaßschülern zugerufen worden: Seid treu! Seid wahrhaftig! Seid deutsch! Seid opferbereit! Das gelte heute mehr als je. Das Wort "Gedenke, daß du ein Deutscher bist", das bei der nationalen Schulfeier am 18. März den Schülern mitgegeben worden sei, verpflichte zu ernstem Streben nach Verkörperung all der edlen Eigenschaften, die die besten Deutschen im Lauf der Jahrhunderte gezeigt hätten. Unseres jetzigen Kultministers Professor Mergenthalers Ruf an die Entlaßschüler im "Sommergarten": "Ans Vaterland, ans teure schließ dich an", sei den Schülern stets vor Augen gehalten worden. Dann stelle sich auch die rechte Vaterlandsliebe ein, aus der die Gesinnung entspringe, die notwendig sei, um die schweren Zukunftsaufgaben zu meistern. Ein Sprechchor gab in "Deutscher Glaube" von Felix Fischer unserer heißen Hoffnung auf den Wiederaufstieg unseres geliebten Vaterlandes ergreifenden Ausdruck. Dann wurde uns ein Einblick in das neue Musizieren in der Schule gegeben. Wir sahen etwa 20 Flötenspieler, die mit leuchtenden Augen ihre neue Kunst den Eltern und Kameraden vorführten. Besonders beifällig wurde "Wilhelmus von Nassauen" aufgenommen. Es war ein schönes Bild einer Schulgemeinschaft, Schüler und Lehrer gemeinsam bei den Gesängen auf Flöten, Cello und Klavier musizieren zu sehen. Daß dieses neue Instrument, die Schulflöte, nicht nur eine Bereicherung der Schulmusik bedeutet, sondern auch Anregung zur besseren Pflege der häuslichen Musik gibt, wurde den Anwesenden klar. Die Menuette von Bach und Beethoven zeigten, daß sich auch Stücke unserer großen Meister auf ihr darbeten lassen. Zum Schluß wurde die Apfelschußszene aus Schillers "Wilhelm Tell" von den Schülern des 6.-8. Schuljahres gespielt. Die starke Spannung, die bei den Erwachsenen und Kindern bis zum ergreifenden Schluß anhielt, ließ uns die harte Knechtung der Schweizer miterleben. Herr Bürgermeister Schroth dankte im Namen der Eltern und der Gemeinde den Herren Lehrern sowohl, als auch den Schülern für den schönen Abend. Er gab Letzteren Worte der Ermahnung mit auf den Lebensweg und betonte den Wert einer guten, bewußt deutschen Erziehung im Hinblick auf die notwendige deutsche Volksgemeinschaft. Er gab seiner Freude Ausdruck, daß dieser Abend fast die gesamte Elternschaft und viele Gäste alljährlich so einträchtig vereine. Der gemeinsame Gesang des Liedes: "Kein schöner Land" beschloß erst gegen 11 Uhr die Feier.

Tauber-Zeitung, 5. 4. 1933