Abschrift:
Spruchkammer Mergentheim – Der öffentliche Kläger –
Bad Mergentheim, den 22. 1. 1948
Innerer Schlosshof
A.Z.: 33/32/93.
Bericht!
Gestern, am 21. 1. 1948 habe ich Gelegenheit genommen, mit dem aus dem Interniertenlager Ludwigsburg vorgeführten, früheren Ortsgruppenleiter der NSDAP Niederstetten,
Franz Wallrauch,
im Beisein seiner Ehefrau und seiner erwachsenen Tochter, als auch im Beisein des Ermittlers Pollack und meines Sachbearbeiters Broll, Rücksprache in der Angelegenheit Burkhardt und noch weiterer Niederstettener ehemaliger Parteigrössen zu pflegen, um Klarheit in die einzelnen Vorgänge zu bringen.
In der in meinem Amtszimmer geführten zwanglosen Unterhaltung von längerer Dauer erklärte Wallrauch mir folgendes:
"In dem Falle Karl Burkhardt aus Niederstetten war ich sprachlos und vollkommen überrascht, dass solch ein Spruch gefällt werden konnte. Aber nicht nur allein ich, meine Frau und meine Tochter, sondern auch alle anwesend gewesenen Niederstettener haben einen solchen Spruch nicht für möglich gehalten. Alle Anwesenen haben ihr Erstaunen und ihr Missfallen bei mir zum Ausdruck gebracht. Selbst der Betroffene in eigener Person hat zu mir gesagt: "er traute seinen Ohren nicht, er glaubte einen Herzschlag zu bekommen, als der Spruch verkündet wurde. Damit habe er niemals gerechnet, wo er doch glaubte, dass man ihn hängen würde". Tatsächlich hat Burkhardt vor der Verhandlung auch in Niederstetten geäußert, dass er gehängt werde. Ein Beweis dessen, dass er sich voll und ganz schuldig fühlte.
Wallrauch erklärte ferner: "Burkhardt war ein Nationalsozialist wie er im Buche steht, wie bald kein zweiter es gewesen ist. Er hat sich schon frühzeitig zur Partei gemeldet und wäre auch der grösste Macher und Führer der Ortsgruppe Niederstetten geworden, ihn hätte man wegen seiner überzeugten Anhängerschaft und seiner vollendeten Idee für den Führer und den Nationalsozialismus schon vor der Machtübernahme sowie seinen innegehabten Antisemitismus mit Führungsposten betraut, doch wegen Unwürdigkeit habe ihn die Partei nicht aufnehmen können; sie habe die beantragte Aufnahme ablehnen müssen, weil er in früheren Jahren wegen begangener sittlicher Verfehlungen an Kindern mit einer längeren Freiheitsstrafe rechtskräftig belegt worden war, die er auch verbüßt habe. Dieser Grund allein war für ihn ausschlaggebend, dass er nicht schon sehr früh und überhaupt Parteigenosse werden konnte. Im anderen Falle wäre B. aber der älteste Pg. des Orts Niederstetten und Umgebung gewesen. Kein anderer wie B. wäre für die Partei das Werkzeug gewesen, was sie gesucht und gebraucht hat.
Burkhardt war ein überzeugter, ausgesprochener aktiver Nationalsozialist und hat sich voll und ganz für diesen eingesetzt, wenn er auch aus den vorgenannten Gründen kein Parteigenosse gewesen ist; er war der größte Förderer der Parteiinteressen. Einen besseren gab es nicht.
Gegen die Juden war er schon lange Jahre vor der Machtübernahme eingestellt. Dies aber weniger aus dem Geschäftskonkurrenzneid, wie er es und sein Rechtsbeistand zu behaupten pflegten – wenn auch ein ganz geringer Prozentsatz dazu beigetragen haben möge –, so aber in erster Linie aus seiner inneren überzeugten Einstellung zum Judentum an und für sich und der vom Nationalsozialismus – seiner überzeugten Anschauung heraus – betriebenen Judenhetze, die er sich zu eigen gemacht habe. B. war der grösste Judenhasser und Antisemit innerhalb der Gemeinde Niederstetten und darüber hinaus. Vor der Machtübernahme war ihm dies nicht gut möglich, weil er da keinen gesetzlichen Schutz fand und sich die Beleidigungsklagen und Bestrafungen gegen ihn gehäuft hätten. Aber mit der Machtübernahme und der nunmehrigen Gewaltherrschaft fand er den Schutz dieser Letzteren, wusste nun, dass er im Interesse der Partei arbeite und ungestraft sein böses Spiel mit den Juden treiben könne und dürfe, ohne irgendwie verfolgt zu werden. An den Judenprogrammen [!] des Jahres 1933 und die späteren hatte er den größten Einfluss; er hatte die Massen der Gemeinde Niederstetten und Umgebung durch sein hetzerisches Wirken gegen die Juden beeinflusst und beeindruckt und durch seine Handlung zu erkennen gegeben, dass ihr Treiben mit den Juden ungestraft bleibe.
Burkhardt ist derjenige von den wenigen dortigen Aufwieglern, die in das Interniertenlager gehörten."
In den Fällen Bauer und Hachtel erklärte er:
"Ich möchte nicht viel sagen, nur das eine, dass diese beiden ganz bestimmt noch vor mir in das Lager gehören und auch reif dazu sind. Bauer ist der größte Lump in politischer Hinsicht gewesen und Hachtel war nicht besser als Bauer. Beide haben ihn vielfach angegangen, mit Meldungen gegen andere vorzugehen, doch habe er sie immer in einer bescheidenen Form davon abgehalten. Und wenn es nicht mehr anders ging, so habe er die Meldungen trotzdem nicht weitergegeben, ihnen aber bedeutet, dass er sie weitergeleitet habe. Diese beiden waren ebenfalls ausgesprochene überzeugte Anhänger der Bewegung, die das böseste Spiel getrieben haben; sie waren ganz von dem Nazigift durchseucht und auch in der Judenfrage massgebend beteiligt".
Im allgemeinen sagte Wallrauch hierzu abschließend:
"Wenn welche in ein Arbeitslager gehören, dann sind es diese Drei die ersten, die dort hinein müssten. Sie haben es wirklich verdient. Ich habe meine Zugehörigkeit zur Partei und die einzelnen Funktionen in derselben niemals bestritten und abzuleugnen versucht, weil ich wusste, dass ich von diesen Leuten nur verraten werden würde, weil es ganz grosse Lumpen waren und sind. Ich werde gerne und jederzeit zur Aufklärung der Angelegenheit wesentlich beitragen, doch aus der Interniertenhaft kann ich mich hierzu nicht entschliessen, weil ich nicht diese dauernden, aufreibenden Transporte und Einsperrungen in eine Gefängniszelle, wie ein Verbrecher, auf mich nehmen kann, da ich seelisch leide und mit meinen Nerven zu Grunde gerichtet werde. Wenn ich in der Freiheit bei meiner Frau und meinem Kinde sein könnte und wieder für die Allgemeinheit, für das soziale Wohl eines demokratischen Staates mitarbeiten könnte und dürfte, würde ich jederzeit als Beweiszeuge auftreten und restlose Klärung in jedem einzelnen Falle herbeiführen. Dann stehe ich immer für die öffentlichen Verhandlungen zur Verfügung und gebe alles das zur Kenntnis, was ich aus meiner Tätigkeit als Ortsgruppenleiter weiss."
Im Interesse einer restlosen Klärung dieser Spruchkammerverfahren nicht nur innerhalb der Gemeinde Niederstetten, sondern auch darüber hinaus im gesamten Kreis- und Stadtgebiet Mergentheim wäre es wohl angebracht, Wallrauch sobald als irgend möglich aus der Interniertenhaft zu entlassen. Er macht persönlich einen guten, ruhigen und sachlichen Eindruck und das alles, was er mir in der bald 5-stündigen Unterredung zu wissen gab und auch die mit ihm geführte private Unterhaltung lassen wohl darauf schliessen, dass er willens und geeignet ist, sich in die Gemeinschaft eines demokratischen Staats- und Volkslebens einzugliedern und für einen gedeihlichen Wiederaufbau mitzuarbeiten. Ich kann ihm nur das beste Zeugnis mit auf diesem Weg geben.
Innerhalb der geführten Unterhaltung kam ich auch auf seine Tätigkeit als Vertrauensmann des SD. zu sprechen. Wenn er auch damals im Int.-Lager den Spitzel des SD nicht bezeichnen wollte, der ihn und die anderen Ortsgruppenleiter und SD-Vertrauensmänner bespitzelt hat, so habe ich es auf geschickte Fragestellung doch von ihm in Erfahrung bringen können. Es handelt sich hierbei um den früheren fürstlichen Privatsekretär Hermann Emil Fischer, geb. am 9. 4. 01 in Pliezhausen, Kr. Tübingen, der sich jetzt auch wieder dortselbst bezw. im Kreise Tübingen aufhalten soll.
Wallrauch erklärte mir hierzu, dass er nur 2 Berichte abgegeben habe und zwar Stimmungsberichte innerhalb der Bauernschaft, die er aber auch nicht nach besten Wissen und Gewissen abgegeben habe, sondern dieselben so gedeutet habe, dass sie zu Beanstandungen keinen Anlass gaben. Denn es lag auch, wie er mir sagte, in seinem eigenen Interesse und im Interesse der Gemeinde, dass die Berichte gut ausfielen, da sie ja sonst zu Unzuträglichkeiten Anlass gegeben hätten. So habe er, als die Preise der bäuerlichen Erzeugnisse seitens der damaligen Staatsführung gedrückt und gesenkt wurden, nicht wahrheitsgetreu berichtet, sondern vielmehr die Stimmung als eine "gute" bezeichnet.
Hinsichtlich des SD-Spitzels Fischer werde ich bei meiner Anwesenheit im Bezirk Tübingen die nötigen Ermittlungen selbst einleiten und alles Weitere veranlassen, um diesen Mann zur Strecke zu bringen und seiner gerechten Sühne zuzuführen. Werde mich dann von dort aus mit der hiesigen Spruchkammer ins Benehmen setzen, um die Ermittlungen zu einem Erfolge zu bringen. Die nötigen Beweiszeugen habe ich bereits im Besitz.
Der öffentliche Kläger:
gez. Kuhnert
Anwesend gewesene Herren:
gez. Broll, Sachbearbeiter
gez. Pollack, Ermittler.
Für die Richtigkeit der Abschrift:
Bad Mergentheim, den 28. 1. 1948
Kuhnert, öffentl. Kläger

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